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Leben im Transit

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Sehen Sie durch den Zaun ein Gebäude mit einem großen Fenster? Dann sind Sie richtig.

Bei diesem Gebäude handelt es sich um den ehemaligen Speisesaal des Notaufnahmelagers – heute wird er als Veranstaltungssaal genutzt, auch von uns, der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Das historische Foto im Guide zeigt die Vorderseite des Gebäudes. Die Menschen, die dort zu sehen sind, warten gerade auf ihr Mittagessen.

Das Wohnheim heute ist - wie früher das Notaufnahmelager – nicht frei zugänglich, daher können wir uns diesen zentralen Ort nicht genauer anschauen. Aber wenn Sie näher an den Zaun herantreten, erkennen Sie vielleicht den Weg, an dem der Saal liegt. Dort waren sämtliche Gemeinschaftseinrichtungen des Lagers untergebracht: das Waschhaus, das Badehaus, die Kleiderkammer, die Gepäckaufbewahrung und das Magazin, in dem Bettwäsche, Handtücher und Geschirr lagerten. Diese Dinge des täglichen Bedarfs wurden den Geflüchteten für die Dauer ihres Aufenthalts zur Verfügung gestellt. Auf dem Lagergelände hatten zudem zahlreiche Beratungsstellen und Wohlfahrtsverbände ihre Büros.

Das Leben im Notaufnahmelager war streng geregelt. Gerade in den ersten Tagen nach der Flucht konnte das entlastend wirken: Für Essen und Unterkunft war gesorgt, es gab feste Zeiten und Abläufe.

Andererseits bedeutete es für viele auch Stress. Eben weil alles fremdbestimmt war. Und wegen der Enge. Man verbrachte Stunden in langen Warteschlangen, und nachts musste das Zimmer mit Fremden geteilt werden. Aggressionen und Konflikte unter den Bewohner*innen blieben nicht aus.

Ab Mitte der 1970er Jahre wurde das Lagerleben modernisiert. Etagenbetten und Essensausgabe, Kontrollgänge und „Bettruhe“, feste Besuchszeiten – das alles erschien nicht mehr zeitgemäß. Die Lagerleitung reagierte auf die Kritik: Besuchszeiten wurden verlängert, der Aufenthaltsraum erhielt einen Fernseher, eine Telefonzelle wurde installiert, die Wohnungen bekamen Kühlschränke und in den Zimmern wurden die Etagenbetten durch Einzelbetten ersetzt.

Seitdem gab es immer wieder Veränderungen: 1989 kehrten angesichts der enorm steigenden Belegungszahlen die Etagenbetten zurück, verschwanden aber später wieder. Es entstand ein Spielplatz auf einer der Freiflächen, drei Wohnungen wurden barrierefrei umgebaut, einzelne Wohnblocks wurden saniert. Was nach 70 Jahren Dauerbetrieb aussteht, ist jedoch eine grundlegende Sanierung der gesamten Anlage.

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