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Von der Notunterkunft zur Mietwohnung

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Schauen Sie sich die Hauswand genau an. Sehen Sie unter der Hausnummer 39 die Plakette mit dem Berliner Bären? Sie stammt aus dem Berliner Aufbauprogramm. Aber warum steht dort das Jahr 1962? Das Notaufnahmelager Marienfelde wurde doch in den Jahren 1952/53 errichtet.

Tatsächlich befinden wir uns hier im zweiten Bauabschnitt des Notaufnahmelagers. Er wurde 1955 fertiggestellt. Mit ihm standen zusätzlich zu den 15 Wohnblocks aus der ersten Bauphase zwölf weitere Gebäude entlang der Beyrodtstraße zur Verfügung. Weil die Flüchtlingszahlen über die gesamten 1950er Jahre hinweg hoch blieben, war für 1962 sogar schon ein dritter Bauabschnitt geplant.

Doch es kam anders. Der Bau der Berliner Mauer im August 1961 setzte der massenhaften Abwanderung aus der DDR ein Ende. Der Ausbau des Lagers wurde gestoppt. Mehr noch: Ein Teil der Gebäude wurde 1962 an die städtische Wohnungsbaugesellschaft Degewo übergeben. Die Sanierung erfolgte mit Mitteln aus dem Aufbauprogramm. Die Plakette von 1962 erinnert also an die damalige Umwandlung und Sanierung dieser Gebäude.

Werfen Sie doch noch einen Blick in die Bildergalerie und öffnen das Foto „Grußbotschaften“. Wenn Sie es genauer betrachten, können Sie vielleicht die handgeschriebenen Botschaften entziffern: „Grüße an alle Dresdener, Pritzwalker oder Leipziger“. DDR-Flüchtlinge, die für einige Tage oder Wochen im Notaufnahmelager untergebracht waren, haben diese Zeilen an den Wänden ihrer Unterkunft hinterlassen. Entdeckt wurden sie im Jahr 2015, als eine Mieterin in ihrer neuen Wohnung hier in der Beyrodtstraße die Tapeten von den Wänden entfernte. Ihre Vormieterin hatte die Botschaften beim Einzug 1964 einfach übertapeziert.

Dieser Zufallsfund macht sichtbar, was für die meisten Mieter*innen dieser Straße vergessen sein mag: In ihren Wohnungen haben einst Menschen nach ihrer Flucht Unterkunft gefunden– wenn auch nur für kurze Zeit.

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